In Heidelberg hab ich mein Herz verloren, heißt es in dem berühmten Lied – und zu Recht, diese Perle am Neckar bietet neben einer malerischen Altstadt, Touristenhorden und eine Weltklasseuniversität auch ein kulinarisches Highlight: das restaurant oben im Kohlhof, hoch oben auf dem Königstuhl im Kohlhof, 2017 mit Robert Rädel als Küchenchef öffnet. 11 Sitzplätze im historischen Gutshof, ein einmaliges Ambiente für kulinarisches regionales Storytelling. Und das gelingt mehr als eindrucksvoll, um es vorwegzunehmen. Das oben ist konstant ausgebucht und selbst über Nachrückerplätze wird in WhatsApp-Gruppen „gerungen“. Mehr als eine Bereicherung für die Region…

…möchte man denken. Die Stadt sah in der Eröffnung eines „Edelrestaurants“ einen Verstoß gegen eine Auflage, die ein Lokal mit bezahlbaren Speisen fordere. Somit klagte Heidelberg gegen den Kohlhof-Betreiber auf Rückkauf, denn es müsse weiterhin Schnitzel & Co für die Ausflügler geben – in 2024 einigte man sich nun darauf, dass ein Foodtruck an mindestens 12 Tagen für 2 Jahre ein entsprechendes Imbissangebot bereitstellen wird. Auch ein Fußnote und vielleicht ein Spiegelbild, welchen Stellenwert herausragende Gastronomie hierzulange einnimmt.
Impressionen


Kaum betritt man das Restaurant, scheint die Welt für einen Moment still zu stehen. Es atmet Patina der Vergangenheit, man fühlt wie in einer Zeitmaschine, die einen in einen Gasthof des 19.Jahrhunderts versetzt hat. Der Raum duftet nach Holz, Heublumen und Zitrus. In der Luft liegt das Versprechen eines kulinarischen Abenteuers, einer Reise durch Aromen, Texturen und Erinnerungen, die nachhaltig bleiben werden.
Das Team
Küchenchef Robert Rädel ist beileibe kein Unbekannter: nach Stationen in Europa und Asien gerlangte er zu Manfred Schwarz nach Heidelberg, erkochte einen Stern im Simplizissimus, eröffnete das oben 1.0 im Landgut Lingenthal in Leimen und überbrückte die Zeit bis zur Eröffnung des jetzigen oben mit einem Pop-up in Mannheim. Zurückhaltend ist er, ein bisschen in sich gekehrt, kommt man aber ins Gespräch, so merkt man, wie er aus tiefer Ruhe und Überzeugung Kraft schöpft für eine ungewöhnliche, erfrischend-undogmatische und zugleich intelligente Regionalküche, die verzaubert. Unterstützung leisten Philipp Kloos als Sous-Chef sowie Leis Büttner als Maitre und Sommelier.

(v.l.n.r Leis Büttner, Robert Rädel, Philipp Kloos)
Das Menü
Ein Menü – ein Statement: Jahreszeiten, enge Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern und tiefes Produktverständnis. Moderat bepreist für 175€ (mittlerweile 180€), wahlweise mit Wein- (7-Gang 90€) oder alkoholfreier Begleitung (7-Gang 60€)…

.. oder man steigt mit Leis in den Weinkeller hinab, um seine Flasche(n) selbst auszuwählen. Eine kleine, dennoch intelligent selektierte Auswahl mit Schwerpunkt Deutschland insbesondere der Pfalz.

KAROTTE
Die erste Begegnung ist wie ein Flüstern. Eine samtige Karottensuppe, durchzogen vom warmen Duft der Kamille und der salzigen Tiefe eines mit Gersten-Miso eingekochten Fonds, bereitet den Gaumenraum vor. Perfekt als Bühne für eine eingelegte Karotte mit Zitronen-Ingwer-Gel, wunderbar mit leichter Schärfe und Frische akzentuiert, wobei Kamillenblüten und Taubnesselblüte wieder an die Suppe andocken und ein nachhaltiges Geshcmackserlebnis zaubern. Es wirkt, als hätte man eine Sommerwiese eingefangen. Wunderbar.


TACO
Ein Taco wird zur Bühne: darauf Hummus, tief und nussig, süß-säuerliche Salsa, Salat und dann – Ente, lackiert, glänzend, wie mit Bernstein überzogen. Ein einziger Biss, der Herz und Gaumen bestens vorbereitet auf die folgenden Gänge.

SENFEI
Ein Spiel aus Texturen. Erdiges Kartoffelragout trifft auf seidiges Eigelb, gegart bei 62 Grad – gerade flüssig genug, um zu verführen. Die 7-Kräutersoße gibt dem Gericht eine grüne, leicht bittere Würze, während kleine Kräuterperlen über das Ragout tanzen wie Tautropfen im Morgengrauen. Eine weitere mehr als gelungene Einstimmung!

ZANDER
Macaronzitone? Speckgelee? Der erste Blick lässt einen stutzen – dann leuchten die Augen. Das Tatar vom Rheinzander (direkt von Fischern aus Karlsruhe, die für das oben fischen) ist so frisch, als sei er gerade dem Rhein entstiegen. Dann trifft jodige Frische auf salzigen, luftgetrockneten Speck sowie Speckgelee, flankiert von zitrischer Säure und leichten Bitternoten und Haptik der Radieschen. Ein Meisterwerk der fein abgestuften Dimensionierung!

MATJES
Drei Tage reift der Fisch in einem Enzymbad – die Tiefe, das Mundgefühl, die dadurch entsteht, ist kaum in Worte zu fassen. Wie selbstverständlich gesellen sich dann Apfel, rote Zwiebel, eingelgte Gurkenscheiben und Gurkeneis dazu, wobei eine Buttermilch-Dillsauce wie ein frischer Frühlingshauch Brücken spannt. Daneben gekochte Kartoffeln mit grobem Salz, Muskat und Rapsöl – eine Liebeserklärung an den Norden.

BROKKOLI
Der geröstete Brokkoli duftet wie der erste Grillabend im Garten. Auf den ersten Blick vermeintlich einfach, aber der aufgespannte Geschmacksraum ist äußerst spannend: ein Salat aus Brokkoli und Magnolienblüten fügt bittersüße, florale (Kopf-)Noten hinzu, während Zitrusmayonnaise, gerösteter Buchweizen und Limettenabrieb ein Knusper-Säure-Frische Fundament bilden. Sonne auf dem Teller!

SCHWEINESCHWANZ
Ja, Schweineschwanz – zart geschmort, fast karamellisiert. Getopped mit Apfelragout mit Senfsaat und Schnittlauchöl, dazu frisch geriebener Meerrettich – scharf, klar, kompromisslos. Mit dieser radikalen Klarheit kochen viel zu wenige Küchenchefs hierzulande. Der Schweineschwanz schmilzt fast auf der Zunge, hat aber genau den richtigen Biss sich texturell von seinem Topping nicht dominieren zu lassen – es bleibt ein neuer und zugleich vertrauter Akkord, der uns jubilieren lässt. Ein Gericht mit Rückgrat und zu Recht ein Klassiker des oben…

SPARGEL
Weiter geht es in der Küche – Grillduft liegt in der Luft. Auf einem Binchotangrill bereitet Philipp den vorgeagrten Spargel vor, um in dann auf einem wunderschön angerichteten Teller zu platzieren. Eine Verneigung vor der Natur, vor der Saison und der Kohlhofwiese, aus der das Team die Beigaben des Spargels selektiert: im Uhrzeigersinn tummeln sich Schafgarbe, japanischer Knöterich, Taubnessel, Gundermann, Giersch, Fichtensprossen, Luftzwiebeln und Holunderknospen auf diesem Canvas. Der Spargel selbst ist noch knackig und wird wunderbar eingerahmt und individuell akzentuiert durch die Frühlingsboten und Heuasche, während sich ein Spargel-Kefirschaum luftig über alles schmiegt. Ein Teller zum Entdeck, staunen und geniessen – die Essenz des Frühlings.
LACHSFORELLE
Es geht weiter in der Küche – das Team kredenzt eine Meisterleistung an Reife und Respekt. Die Lachsforelle aus der Forellenzucht Lenz im Odenwald wird per Ikejime geschlachtet, reift trocken sieben Tage und wird perfekt glasig serviert. Im Mund wirkt der Fisch zunächst zart wie Seide, kann aber trotzdem durch Mundgefühl und seinen bewahrten prägnanten Eigengeschmack mehr als punkten. Dazu gesellen sich marinierte Kohlrabi gefüllt mit Kohlrabi-Püree (schmeichelnd-intensiv) und Forellen-Kaviar (als salziger Kontrapunkt), während ein Kohlrabiblatt-Waldmeistersud das Ganze sanft umarmt. Besser geht es nicht!

LAMM
Lammrücken, Lammfilet – gebraten mit Aromaten, dass es fast wie eine Wiese duftet. Dazu grünes Gemüse, ein Erbsenpüree als flüssiger Frühling, eine dunkle, tiefe Lamm-Jus und a part geschmorte Keule, Polenta und Gremolata für Ein Gang wie ein Frühlings-Sonntag im Süden Frankreichs, fantastisch!

ACE
Ein Übergang, ein Atemholen: ein Granittee aus Karotte, Ingwer, Sanddorn und Brause. Darauf ein warmer Mandelschaum – wie eine wohlige Umarmung, einfach perfekt.

REICHER RITTER
Wie könnte es im Frühling nicht anders sein: der Rharbarber spriest und offeriert allerlei Dessertoptionen. Robert Rädel und Philipp Kloos servieren uns den Rhabarber roh, als Gel, als Eis und Sud und fächern das ganze Potenzial zweixchen sauer, süß und frisch auf. Dazu dann Ziegenfrischkäse mit Honig und Estragon mariniert sowie ein Baiser aus Estragonessig. Der „Reiche Ritter“ dazu wirkt üppig, buttrig, fast sündig. Und doch nie zu viel. Ein Frühlingstanz auf der Zunge.

HÖRNCHEN
Der letzte Akkord ist leise, aber voller Gefühl. Ein zartes Hörnchen, begleitet von Erdbeerragout, mit Milch-Eis gefüllt. Erinnerungen an Kindheit, an Sommer, an das Glück der einfachen Dinge.

Oben – was bleibt?
Das war die Essenz des Frühlings in dreizehn Gängen. Virtuos vorgetragen, bestens eingepasst in ein einzigartiges Ambiente, mit einer Selbstverständlichkeit und Nonchalance, aber auch mit Demut vor dem Gast und den Produkten zelebriert. Robert Rädel und seinem Team gelingt Storytelling ohne Dogma und Zeigefinger, ein wunderbares Spiegelbild von Rädel und seinem Wesen selbst. Groß kochen kann man dann, wenn man sein Ego hinter dem Charakter der Produkte zurückstellt.
Das Menü fließt und reisst einen mit, so dass am Ende der bloße Wunsch zurückbleibt, ganz bald dort wieder einzukehren, zur nächsten Saison, in dieses einzigartige Gasthaus der Jahreszeiten.
DANKE!
Restaurant oben
Kohlhof 5
69117 Heidelberg
+49 172 9171744
info@restaurant-oben.de
restaurant-oben.de
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